Erinnerungen eines Theaterpfaus
Freies Kinder- und Jugendtheater im KFZ
Ein gutes Vierteljahrhundert ist vergangen, seit ich zum ersten
Mal vor dem KFZ auf eine Theatervorstellung wartete. Für diesen
Abend vergeblich, weil bereits ausverkauft. Siebzig Zuschauer, und
der Laden war rappelvoll.
An einem der nächsten Tage hat es dann geklappt mit dem Tipp
meiner Kunstlehrerin, doch mal ins KFZ zu gehen. Das Marburger Schauspiel
hatte Vorstellungen eines Werks von Dario Fo in einer wirklich sehr
alternativen Spielstätte anberaumt. Eng wars, enger als
alles, was einen heutzutage hier so erwartet. Ein Sammelsurium wackliger
Stühle und Bänke, ganze 4 Quadratmeter Bühne, improvisiert
aus Holzkisten, 2 kümmerliche Scheinwerferfunzeln. Möglicherweise
gerade das im wahrsten Sinne hautenge Bühnenerlebnis im Schrott-Ambiente
war der Grund dafür, dass es damals mein intensivstes Erleben
erwachsener Kultur war. Das Schauspiel hatte sich wirklich die passende
Örtlichkeit ausgesucht, in dem die komisch-grotesken Monologe
des späteren Nobelpreisträgers so richtig zur Geltung
kommen konnten.
Das KFZ ist mittlerweile größer und auch ein bisschen
erwachsen geworden. In der Stadt gibt es eine große Anzahl
freier Kulturinitiativen, viele mit festen Räumlichkeiten.
Die Kulturszene hat sich wesentlich ausdifferenziert, und jedes
Zentrum hat so seine Schwerpunkte. Es gibt nicht nur freies Theater
mit einer Vielzahl von Auftrittsmöglichkeiten, auch das Schauspiel
hat etablierte Spielstätten außerhalb der Stadthalle.
Im KFZ ist der Schwerpunkt die Musik, aber es garantiert bis heute
umwerfende Theatererlebnisse. Aus frühen Zeiten verblieben
ist selbstgemachtes Theater von Kindern, Jugendlichen und Studenten.
Viele fühlen sich berufen, der Flimmerei auf allen Kanälen
und der drohenden Mp3-Verseuchung der Welt etwas eigenes entgegenzusetzen.
Es melden sich Schulen aus der Umgebung, Theatergruppen von Marburgs
Jugendhäusern, die Blindenstudienanstalt, studentische und
ganz freie Gruppen. Die Inhalte reichen vom Kindermärchen über
Musical und richtig intellektuellem Theater bis zum Erwachsenenmärchen.
Obwohl der Laden schwerlich für professionelle Tourneeproduktionen
geeignet wäre, wird trotzdem ein- bis dreimal im Jahr möglichst
alles andere vor die Tür gesetzt, wenn mal wieder eine freie
Theatergruppe das Glück hatte, den Laden für ein paar
Tage am Stück zu belegen. Und dann ist der Teufel los.
Nicht wie früher, ich im Kindergarten schräg gegenüber,
da, wo jetzt das Parkhaus steht: Wir gaben die Vogelhochzeit, ich
der Pfau, eine lange glänzende Feder hinten im Hosenbund, und
allein diese Feder stand für Kostüm und buntes Bühnenlicht.
Nicht so heute: im Zeitalter moderner (Medien-)Technik darf es gerne
eine professionelle Bühnenlichtanlage sein, wenn der Weihnachtshase
in seinem prächtigen Kostüm die Bühne betritt. Ohne
drahtlose Mikrofone wäre kein selbst komponiertes Musical denkbar.
Schnelle Bühnenbildwechsel, dafür muss man heutzutage
nicht mehr ewig hämmern und eilig rumschleppen, es gibt ja
schließlich digitale Projektion. Gerade die jungen Leut wollen
einfach jedes verfügbare Ausdrucksmittel ganz selbstverständlich
in ihre kreative Betätigung einbauen, und nun wieder zu des
Teufels Kern.
Wenn denn eine Theatergruppe einen Termin ergattert hat, dann wird
das eigentlich ja theaterungeeignete KFZ kurzerhand geeignet gemacht:
Die Bühne wird zu ein, zwei oder mehreren Bühnen umgebastelt,
was halt die Dramaturgie erfordert. Entsprechend müssen Scheinwerferanlage
und Lautsprecherboxen umgebaut werden. Einerseits kann sich eine
so arbeitende Gruppe erlauben, ihre Produktion der Räumlichkeit
anzupassen, andererseits wird natürlich jede noch winzige räumliche,
technische und organisatorische Möglichkeit bis zum Anschlag
ausgenutzt. Abtritt links mit folgendem Auftritt rechts geht, aber
bei schlechten Wetter nur mit Regenschirm, weil mangels Hinterbühne
der Weg durch Freie führt.
Die sich dabei ergebenden Anforderungen bringen den Techniker vom
KFZ, der alles hinbosseln muss, schon gelegentlich dazu, dass ihm
die Zunge hängt und die Birne qualmt. Letztendlich die bange
Frage: Wir wollen ja Zuschauer haben, aber wie viel Platz ist dafür
noch da? Oft stellt sich heraus, dass es gerade noch 70 Zuschauer
sind, die pro Vorstellung eingelassen werden können, so wie
ganz früher im alten KFZ
Und dann beginnt eine Riesenwuselei, Kostümproben, Hauptprobe,
Generalprobe, die jungen Akteure finden oft 3 Tage lang kaum Schlaf,
aber sie stellen letztendlich etwas auf die Bühne, das mir
bei aller Routine und Erfahrung von sicherlich an die 50 Gelegenheiten
jedes Mal einen Heidenrespekt abnötigt. Nicht ein einziges
Mal war eine Vorstellung schlecht oder so, dass ich nachträglich
lieber darauf verzichtet hätte.
Da ich jetzt unmöglich anfangen kann, einzelne Personen aus
der langjährigen Zusammenarbeit namentlich zu erwähnen,
grüße ich 2 von ihnen stellvertretend für alle in
Form von 2 Anekdötchen: die Dame, die nach der letzten Vorstellung
die Brille aus ihrem wahren Alltagsleben vermisste, und nicht wusste,
in welcher der etwa 50 vollgestopften Requisitenbehälter sie
anfangen sollte zu suchen. Und den Herrn, der inzwischen professionell
Theater macht, und der mir mittels eines plötzlichen Regieeinfalls
eine Sprechrolle verschaffte, nur ein paar Schritte, ein Satz aus
5 Wörtern, überraschend, prägnant. Hätte ich
da gestottert, es hätte die Schlußpointe zunichte gemacht.
Ich bilde mir ein, dass ich es so halbwegs hingekriegt habe.
Karl Erbach
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